Politik
Tarifreform ist auf dem Weg – und das ist gut so
Nach Jahrzehnten der Reformblockaden ist es dem Bundesrat mit einem taktisch klugen Schachzug gelungen, die Tarifpartner zur Einigung zu bewegen. Sie haben vor kurzem ein Tarifwerk für ambulante Leistungen zur Genehmigung eingereicht. Für die Haus- und Kinderärzt:innen sind das gute Nachrichten. Auch wenn noch viele Fragen offen sind, gibt es Grund zu leisem Optimismus: Es kann fast nur besser werden.
Nun scheint also gelungen zu sein, woran viele nicht mehr glaubten: Die Tarifpartner haben sich unter dem Dach der OAAT AG Ende Oktober auf ein neues Tarifwerk für ambulante Leistungen geeinigt und dem Bundesrat fristgerecht ein Gesamtpaket zur Genehmigung vorgelegt.
Dieses Paket umfasst einen Einzelleistungstarif (TARDOC) und Pauschalen für ausgewählte Leistungen sowie Vereinbarungen für die Einführung und zu flankierenden Massnahmen. Der neue Tarif soll TARMED am 1. Januar 2026 definitiv ablösen.
Treiber für den Hausärzt:innenmangel
Die Einigung auf einen neuen Tarif darf man als historisch bezeichnen, wenn man bedenkt, wie viele Jahre, ja eigentlich Jahrzehnte, jegliche grösseren Reformbemühungen im TARMED scheiterten, weil sich die Tarifpartner nicht einigen konnten.
Unter der Reformblockade litten und leiden insbesondere die Haus- und Kinderärzt:innen sowie Psychiater:innen und Kinderpsychiater:innen. Bekannt war das schon längst. Bereits 2010 stellte die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) in einem Bericht dringenden Reformbedarf fest, in vielerlei Hinsicht.
Unter anderem müsse die Überarbeitung von TARMED die Einkommensunterschiede zwischen medizinischen Grundversorger:innen und Spezialist:innen ausgleichen, stellte sie fest. Das ist nie passiert. Dass wir heute eine ernsthafte Versorgungskrise in eben dieser ärztlichen Grundversorgung haben, ist zu guten Teilen der jahrzehntelangen tarifarischen Benachteiligung geschuldet und dem Unvermögen und Unwillen der Tarifpartner zur Reform.
Zusammenraufen oder Behördentarif
Der Bundesrat hat bei der Einigung der Tarifpartner kräftig nachgeholfen. Er hat im Juni 2024 TARDOC und ambulante Pauschalen mit Auflagen teilgenehmigt und beschlossen, beides per 1. Januar 2026 einzuführen. Dabei spielte er den Ball mit klaren Vorgaben an die Tarifpartner zurück, nämlich mit dem Auftrag, für die gemeinsame Einführung ein Konzept zu unterbreiten.
Mit dieser Teilgenehmigung hat der Bundesrat die Beteiligten mit einem strategisch cleveren Schachzug zur Zusammenarbeit («Koordination»), sagen wir: «motiviert». Auch jene, die in den letzten Jahren vor allem durch laute Kommunikation aufgefallen waren und weniger durch konstruktive Beiträge zur Problemlösung, wurden nun freundlich, aber bestimmt zu Tisch gebeten. Viel Spielraum hatten sie nicht.
Allein der Beschluss, TARMED ab 2026 nicht weiterzuführen, hat die Diskussionen und Verhandlungen dynamisiert und die Reform- und Kompromissbereitschaft «gefördert», denn: Über 2026 hinaus gibt es für keinen der Tarifakteure mehr einen Status Quo zu verteidigen. Das dürfte einen grossen Einfluss auf die Verhandlungen und die strategischen Optionen der Akteure gehabt haben. Die Alternativen lauteten für alle noch: Zusammenraufen oder Behördentarif. Ein taktisch cleverer und effektiver Schachzug des Bundesrats.
Damoklesschwert Kostenneutralität
Heute lässt sich noch nicht genau sagen, ob und in welchem Ausmass die Haus- und Kinderärzt:innen in der Grundversorgung dereinst tatsächlich von TARDOC profitieren werden. Die Struktur von TARDOC bietet dazu Hand: Mit einem eigenen «Hausarzt-Kapitel», mit Positionen zur interprofessionellen Zusammenarbeit, mit Leistungen, die die Arbeit in der ambulanten Grundversorgerpraxis insgesamt besser abbilden. Über all dem hängt aber noch das Damoklesschwert der Kostenneutralität.
Die Einführung von TARDOC und Pauschalen ist noch mit einigen Ungewissheiten verbunden. Und doch kann man schon heute sagen, dass die Ablösung von TARMED für die Haus- und Kinderärzt:innen richtig und wichtig ist. Denn: Wir wissen zwar nicht mit letzter Sicherheit, dass die Situation mit TARDOC besser wird, aber wir wissen mit Sicherheit, dass sie mit TARMED schlecht bliebe.
Stark positioniert – auch dank mfe
Anlass dafür, optimistisch zu bleiben, bietet vor allem auch die erfolgreiche Arbeit von mfe Haus- und Kinderärzt:innen Schweiz. mfe ist zwar nicht Tarifpartner, hat aber die Anliegen der ärztlichen Grundversorgung in den letzten entscheidenden Wochen und Monaten mit harter Arbeit und mit aller Konsequenz vor und hinter den Kulissen eingebracht. So halten die Begleitmassnahmen zur Tarifeinführung die Aufwertung der haus- und kinderärztlichen Grundversorger:innen nun ausdrücklich als Ziel fest.
Zudem sehen sie vor, dass das Monitoring der Kostenentwicklung sowie allfällige Korrekturmassnahmen für die haus- und kinderärztlichen Grundversorger:innen in der ambulanten Praxis separat erfolgen muss. Das tönt nach einem technischen Detail, ist aber tatsächlich entscheidend: Das Gebot der Kostenneutralität darf nicht dazu führen, dass Kostensteigerungen in anderen Bereichen negative Korrekturen bei den Haus- und Kinderärzt:innen zur Folge haben, nur weil kein differenziertes Monitoring der Kosten erfolgte.
Optimistisch darf man aber auch sein, weil die politische Rückendeckung für die Anliegen der Haus- und Kinderärzt:innen gross ist. Negative Auswirkungen eines neuen Tarifkonstrukts auf die Haus- und Kinderärzt:innen würden auch politisch nicht akzeptiert. Das wissen mittlerweile alle Beteiligten.