Kommentar
Regulierungsflut und administrative Bürden kosten – vor allem Zeit
Zwei Drittel der praxisambulant tätigen Ärzt:innen hält den administrativen Aufwand für Behörden oder Versicherungen für überflüssig, das zeigt eine neue Studie von gfs.bern im Auftrag der FMH. Der bürokratische Begleitaufwand der haus- und kinderärztlichen Tätigkeit hat in den letzten Jahren stetig zugenommen. Viele Praxen ächzen unter Behördenvorgaben, Kontrollen und der Formularitis von Versicherern. Mit seinem Kommentar zur Lage der Dinge gewährt uns Jürg Dräyer einen kleinen Einblick.
Die Politik hat im Kanton Bern einiges unternommen, um den Mangel an Haus- und Kinderärzt:innen zu bekämpfen. Das Praxisassistenzprogramm ist ein gutes Beispiel dafür. Leider drohen die positiven Effekte zu guten Teilen von Regulierungsflut und administrative Hürden aufgefressen zu werden.
Die Kosten und der zeitliche Aufwand für die Administration der selbständigen Tätigkeit schrecken viele junge Ärzt:innen ab. Auch sehr motivierte und bestens ausgebildete Grundversorger:innen. Viele angehende Haus- und Kinderärzt:innen entscheiden sich heute gegen eine Niederlassung in einer eigenen Praxis, und dies nicht zuletzt wegen bürokratischen Hürden.
Zwangsmitgliedschaften und digitale Probleme
Wieso sollte sich eine junge Ärztin selbständig machen, wenn sie sich kostenpflichtig einer EPD-Gemeinschaft anschliessen muss, obwohl das EPD gar nicht funktioniert und die Einführung noch unsicher ist? Zusätzlich müssen mehrere Mitgliedschaften abgeschlossen werden, damit wir über die Krankenkassen abrechnen können (FMH, BEKAG, ABV).
Dies sind nur zwei Beispiele von unnötigen und kostspieligen regulatorischen und administrativen Hürden, die spezifisch neu einsteigende Haus- und Kinderärzt:innen betreffen. Auch bereits niedergelassene Kolleg:innen sind von wiederkehrenden bürokratischen Belastungen nicht verschont. Erfahrene Haus- und Kinderärzt:innen verbringen Stunden mit administrativen Aufgaben und müssen diese gratis leisten, damit sie ihre Praxen weiter betreiben dürfen.
Ein weiteres Beispiel – wir erinnern uns – ist das neue Datenschutzgesetz. Es wurde vor einem Jahr eingeführt und macht die Kommunikation zwischen Gesundheitsfachleuten sowie Ärzt:innen und Patient:innen wesentlich komplizierter. Täglich beklagen sich Patient:innen in der Praxis, weil sie zum Beispiel verschlüsselte E-Mails mit Berichten und Befunden erhalten, die sie nur aufwändig und über Umwege öffnen können.
Absurde administrative Aufgaben
Dazu kommen eine überbordende Dokumentationspflicht und übertriebene Kontrollmechanismen: Temperaturlogbücher für medizinische Kühlschränke, Laborqualitätssicherung, Röntgenanlagenkontrollen, Kontrollen durch den Kantonsapotheker und so weiter. Es ist natürlich wichtig, dass die Qualität und Sicherheit für die Patient:innen und die Mitarbeitenden stimmen. Nicht wenige Kolleg:innen empfinden die aufwändige Kontrollflut aber als Zeichen generellen Misstrauens gegenüber Haus- und Kinderärzt:innen.
Es gibt unzählige weitere Aspekte, die wir in diesem Zusammenhang diskutieren können, und die den Praxisalltag bisweilen beschwerlich machen: kostspielige Weiterbildungen und deren aufwändige Dokumentation, Lieferengpässe von Medikamenten und Material, die ein tägliches Improvisieren nötig machen, Versicherungsanfragen, die häufig ‘pro forma’ gestellt werden, und vieles mehr.
Bürokratie kostet Workforce
Das Frustrationspotential ist gross. Die allermeisten Haus- und Kinderärzt:innen betreuen und behandeln ihre Patient:innen nach bestem Wissen und Gewissen. Sie können das gut, effizient und kostengünstig. Weil sie es gelernt haben und schon lange machen. Aber dieses Gesundheitssystem macht uns einen Strich durch die Rechnung.
Wir benötigen viel zu viel Zeit für Aufgaben, die der Gesundheit der Patient:innen keinen Mehrwert bringen. Deshalb darf man nicht vergessen: Wenn Haus- und Kinderärzt:innen endlich wieder mehr Zeit direkt mit den Patient:innen verbringen könnten, würde das den Fachkräftemangel in der Haus- und Kinderarztmedizin erheblich entschärfen.
Viel überflüssige Bürokratie
Eben erst hat gfs.bern die Ergebnisse einer im Auftrag der FMH durchgeführten Befragung zum ärztlichen Arbeitsumfeld publiziert. Unter anderem ist daraus abzulesen, dass fast zwei Drittel der praxisambulant tätigen Ärzt:innen den Zeitaufwand für die Erfüllung von Behördenvorgaben für eher oder eindeutig überflüssig halten. Viel Zeit beanspruchen das Ausfüllen von Formularen, Rückfragen seitens der Versicherungen und Berichte zuhanden derselben, Rechtfertigung von erbrachten Leistungen oder Dokumentationsarbeiten.