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Das Magazin der Berner Haus- und Kinderärzt:innen

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Vielfältige Digitalisierung

Carte Blanche

Vielfältige Digitalisierung

Viele Patienten und Patientinnen wurden in früheren Zeiten medizinisch «digitalisiert», mit gutem Erfolg. Mit der Digitalisierung des Gesundheitswesens, sprich e-Health, aber hapert es. Ein Blick auf zwei ungleiche Digitalisierungen.

Menschen, die an einer Herzinsuffizienz litten, wurden früher «digitalisiert». Mit Digitalis behandelt, einem Glycosid des Roten Fingerhuts. Digitalis war die Königin der Herzmedikamente, bevor es durch die heute üblichen Wirksubstanzen abgelöst wurde. Als Zeichen seines hohen Ranges stand es auf Medikamentenlisten in der Regel an oberster Stelle.

Digitalis verstärkt mit seiner positiv inotropen und gleichzeitig negativ dromotropen und chronotropen Wirkung die Kontraktionskraft des Myocards und senkt die Schlagfrequenz. Zwei wichtige therapeutische Effekte zur Verbesserung der Herzfunktion. Die medikamentöse «Digitalisierung» erforderte einige Erfahrung und wegen der geringen therapeutischen Breite von Digitalis eine sorgfältige Beobachtung auf unerwünschte Wirkungen. Digitalis entfaltete seine volle Wirkung erst nach einer Woche. Diese Aufsättigungsphase konnte auf 24 Stunden verkürzt werden, indem man am ersten Behandlungstag drei- bis viermal eine Tagesdosis, nötigenfalls intravenös, verabreichte. 

Vorsicht war aber angebracht, besonders bei alten Menschen und einer beeinträchtigten Nierenfunktion. Übelkeit, Sehstörungen und Bradycardie waren Zeichen einer Intoxikation. Eine Hypokaliämie drohte insbesondere in Kombination mit dem ausschwemmenden Furosemid. Eine ST-Senkung und T-Inversion im EKG waren fast obligat und konnten zu Fehlinterpretationen betreffend einer koronaren Herzkrankheit führen.

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Während die medikamentöse «Digitalisierung» herzkranker Menschen verschwand, kam vor gut drei Jahrzehnten sukzessive die IT-Digitalisierung der Medizin auf.

Inzwischen sind die meisten ärztlichen Praxen und medizinischen Institutionen digitalisiert. Einerseits zum Guten, aber auch mit Risiken sowie unerwünschten, oft «chronophagen» Nebenwirkungen. Beispielsweise lassen sich digitalisierte Daten so schnell und mühelos in Berichte umwandeln und mit «copy & paste» kopieren, dass aus Bequemlichkeit oft Massen roher Daten ohne Selektion übermittelt werden. Aus diesen muss die Empfängerin dann mühsam und zeitaufwändig die für ihre Fragestellung relevanten Informationen heraussuchen.

Mit der digitalen Vernetzung unter verschiedenen Praxen und Institutionen – eine Grundvoraussetzung für die seit langem geforderte e-Health-Strategie des Gesundheitswesens – geht es aber einfach nicht vorwärts. Diese Blockade dürfte unter anderem auch daran liegen, dass die Daten der unterschiedlichen IT-Systeme nicht konvertierbar sind und sich nicht medienbruchfrei gegenseitig integrieren lassen. 

Der Datenaustausch erfolgt mit PDF-Dokumenten, die einzeln geöffnet und wieder geschlossen werden müssen. Sogar deren teils kryptischen Dateinamen müssen in der Empfängerpraxis einzeln angepasst werden, damit die Berichte vernünftig auffindbar sind. Mit der Zeit muss man sich durch einen veritablen PDF-Dschungel kämpfen. Wer in eine andere Praxis wechselt, erhält seine Krankengeschichte auf einer CD mit zahllosen Einzeldateien. Es ist kaum besser als damals mit der Papier-KG und dem Fax. Vielleicht sogar schlechter, weil man nicht mehr rasch durch sauber abgelegte Papiere mit offen einsehbaren Informationen blättern kann.

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Ein nostalgischer Rückfall? Nein, sondern mein inniger Wunsch, die Digitalisierung des Gesundheitswesens möge bald zu einem erfolgreichen Resultat kommen. Sie möge so überzeugen, wie damals die medikamentöse «Digitalisierung». Sie möge den Menschen dienen. Den Ärztinnen und Ärzten Arbeit abnehmen und nicht neue aufbürden. Ihnen Zeit freischaufeln, die sie ihren Patientinnen und Patienten sowie ihrem eigenen Wohlbefinden widmen können.

Bruno Kissling, Bern, Hausarzt im Ruhestand