Editorial
World on fire – von Brandherden, Pflästerli und Futility
Der Sommer schlug global sämtliche Temperaturrekorde. Von Waldbränden lesen wir täglich in den Medien. Auch die Gesundheitspolitik liefert altbekannte und neue Brandherde, teilweise mit Potential zum Flächenbrand. Reicht die aktuelle Pflästerlipolitik, um die Brandherde einzudämmen? Und wie gehen wir mit «Futility» um, also mit dem Gefühl von Sinn- oder Wirkungslosigkeit des eigenen Tuns?
Zum Flächenbrand entwickelt hat sich der Fachkräftemangel. Wir spüren ihn in unseren Praxen täglich, und dies unter steigendem Kosten- und Versorgungsdruck. Uns Haus- und Kinderärzt:innen bereiten weniger die steigenden Krankenkassenprämien Sorgen. Uns treibt viel mehr die Sorge um, wie wir die qualitativ hochstehende Versorgung unserer Patient:innen mit unseren begrenzten – oder sogar schwindenden – menschlichen, finanziellen und technisch-digitalen Ressourcen überhaupt noch bewältigen können. Bei gleich tief bleibenden Tarifen (der Tarmed wurde in den rund 30 Jahren seines Bestehens nie an die Teuerung angepasst!) müssen wir laufend steigende Kosten für MPA-Löhne, IT, Datenschutz, Mieten oder Energie decken.
Verständlich, dass solche Rahmenbedingungen junge Talente nicht in Scharen in die Haus- und Kinderarztmedizin locken. Ob hier der TARDOC mehr als nur ein Pflästerli sein wird, lässt sich erst beurteilen, wenn klar ist, wie man mit der geforderten Kostenneutralität umgehen will.
Stichwort technisch-digitale Ressourcen: Könnte künstliche Intelligenz wie z.B. ChatGPT unsere Effizienz im Praxisalltag steigern und mehr als nur ein Pflästerli sein? Wo lauern Gefahren, wo liegen die Chancen? Gleich zwei Beiträge dieser Ausgabe widmen sich dem Thema, die Carte Blanche von Bruno Kissling und ein Text von Stefan Roth.
Eine hilfreiche technisch-digitale Ressource könnte schon lange auch das EPD sein. Betonung auf «könnte». Bis jetzt ist es eine PDF-Sammlung ohne spürbaren Zusatznutzen für Ärzt:innen und andere Leistungserbringer:innen, dafür mit grossem Aufwand. Wieder nur ein Pflästerli. Von einer echten, nutzbringenden Digitalisierung träumen wir schon lange! Da wirkt die aktuelle EPD-Werbekampagne des BAG reichlich hilflos. Wer von uns hat denn Zeit und Lust, unsere Patient:innen von einem derart limitierten EPD zu überzeugen, und das erst noch gratis? Klar ist: Sobald das EPD für Patient:innen wie Leistungserbringer:innen einen Zusatznutzen bringt, wird es sich durchsetzen. Auch ganz ohne Kampagnen.
So gäbe es noch etliche Beispiele für Brandherde und Pflästerlipolitik, die in uns ein Gefühl von «Futility» auslösen. Parallelen zwischen Gesundheitswesen und Klimakrise liegen durchaus auf der Hand: Im einen wie im anderen Fall scheinen alle irgendwie zu hoffen, dass es doch noch irgendwie gut kommt. Einige kleben Pflästerli und betreiben Symbolpolitik, andere kleben sich auf die Strassen. Das Gefühl von «Futility», das Erleben eigener Wirkungslogikeit, ist ja auch in der Tat schwer auszuhalten.