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Das Magazin der Berner Haus- und Kinderärzt:innen

Lesedauer ca. 16 Min.

«Letztlich machen wir die Arbeit, die die Politik nicht mehr machen will»

Politik

«Letztlich machen wir die Arbeit, die die Politik nicht mehr machen will»

Die Spitalschliessungen in Münsingen und Tiefenau haben hohe Wellen geworfen und sorgen nach wie vor für viel Emotionen. Wir haben zwei der Hauptprotagonisten für ein ausführliches Gespräch an den Tisch gebeten und über die einschneidenden Schliessungen geredet: Bernhard Pulver, Verwaltungsratspräsident der Insel Gruppe, und Connor Fuhrer, Hausarzt in Münsingen.

Herr Pulver, was war Ihre grösste Sorge, als Sie den Beschluss fällten, die Spitäler Münsingen und Tiefenau zu schliessen?

Bernhard Pulver: «Die betroffenen Mitarbeitenden und die Menschen in den Regionen. Im Einzugsgebiet des Tiefenau gibt es immerhin noch andere Spitäler, aber in Münsingen trifft es die Region unmittelbar. Wie die Betroffenen den Entscheid aufnehmen und was das für sie heisst, hat mich am meisten belastet. Viele Mitarbeitende haben viele Jahre in diesen Spitälern gearbeitet, und die Versorgung in der Region war gut eingespielt, es hat funktioniert.»

Connor Fuhrer: «Wir arrangieren uns irgendwie, aber die Betroffenheit war schon gross, vor allem bei den Patient:innen. Dass die Schliessung in Münsingen so kurzfristig kommt, war schwierig nachzuvollziehen. Wir können die genauen Hintergründe ja nicht abschätzen, aber wir wissen, dass Münsingen für uns einfach notwendig war.»

Pulver: «Können Sie noch präzisieren: Welche Leistungen waren besonders wichtig?»

Fuhrer: «Dass wir ein eingespieltes stationäres Setting haben. Wir sehen oft, dass es jemandem zu schlecht geht, um ihn nach Hause zu schicken, aber auch nicht so schlecht, dass es ein Zentrumsspital braucht. Die Wege nach Münsingen waren für alle kurz, wir Ärzt:innen kannten uns. Das sind einfach Aspekte, die im Grundversorgungssetting relevant sind.»

Herr Fuhrer, was ging Ihnen als erstes durch den Kopf, als Sie von den Schliessungen erfahren haben?

Fuhrer: «Ich war hässig und frustriert, dass man ohne Vorlauf und ohne Zeit für sinnvolle Folgelösungen schliesst. Die Qualität der Grundversorgung wird einfach nicht die gleiche sein ohne das eingespielte stationäre Setting vor Ort, das spüren wir bereits. Es hätte Alternativen gegeben, vielleicht ein Gesundheitszentrum mit einem teilstationären Setting. Dass man solche Optionen nicht zur Diskussion stellte, hat uns konsterniert.»

Haben Sie Verständnis für die Kritik am Entscheid? Sie war teilweise recht heftig.

Pulver: «Ja, sogar sehr. Dass wir so kurzfristig schliessen, war kommunikativ schwierig. Vielleicht haben wir auch zu wenig gut erklärt, warum wir einfach nicht anders handeln konnten. Fakt ist, dass der ökonomische Druck massiv gestiegen war. Als verantwortlicher Verwaltungsratspräsident kann ich die Finanzen nicht beliebig aus dem Ruder laufen lassen. Optionen haben wir seit Jahren geprüft, aber keine hat in einer langfristigen Strategie wirklich Sinn gemacht. Uns blieb faktisch nur noch die Schliessung. Und wir müssen schon auch sehen, dass wir in Bern auf relativ wenig Raum schon eine sehr hohe Dichte an stationären Angeboten haben.»

Sie begründen die Schliessung finanziell. Was waren denn die unternehmerischen Linien des Verwaltungsrats für den Entscheid, diese beiden Standorte zu schliessen?

Pulver: «Der Hauptgrund für die Schliessung ist letztlich der Fachkräftemangel. Der ökonomische Druck wurde einfach akut. Die finanzielle Situation beider Standorte war besonders schwierig, und kurzfristig war die Lage in der Insel Gruppe so, dass wir mit solchen Verlusten einfach nicht weiterarbeiten dürfen. Die Schwierigkeiten haben verschiedene Ursachen: Der Fachkräftemangel führte zu teuren Bettenschliessungen, weil uns das Personal fehlte. Dazu kam aber auch die Coronapandemie, in der die Spitäler enorme Lasten trugen: Wir haben über 200 Millionen Franken verloren, der Kanton hat davon nur etwa 60 Millionen Franken übernommen. Ganz zu schweigen von den Tarifen, mit denen wir nicht kostendeckend arbeiten können. Wir waren in einer Situation, in der wir nicht sagen konnten, ‘dann machen wir halt noch ein paar Jahre Verluste’».

Aber warum Tiefenau und Münsingen?

Pulver «Wir haben entschieden, die beiden Standorte mit den grössten Verlusten zu schliessen. Beim Spital Tiefenau kam noch die bauliche Situation dazu. Wir hätten für viele Millionen neu bauen müssen, was so nahe vom Inselspital einfach keinen Sinn gemacht hätte. Strategisch haben wir versucht, für all unsere sechs Standorte ausserhalb des Inselspitals eine klare Linie zu finden. Aber wir haben für Münsingen wegen der fehlenden kritischen Masse keinen Weg gesehen. Der Hauptgrund ist aber letztlich eine langfristige Frage: Sie müssen sehen, wir werden in Zukunft mit weniger Personal als heute mehr ältere Menschen versorgen müssen. Das ist die Demographie, darauf haben wir als Insel Gruppe keinen Einfluss. Als Gesellschaft werden wir diese Herausforderung aber irgendwie meistern müssen. Das schaffen wir nur, wenn wir uns auf die Orte konzentrieren, an denen wir möglichst effizient arbeiten können. Dafür braucht es zwingend eine gewisse kritische Grösse.»

Herr Fuhrer, können Sie diese Überlegungen nachvollziehen?

Fuhrer: «Ich sehe nicht in die Bücher der Insel. Ich habe mich einfach gefragt, ob man wirklich alle Alternativen geprüft hat, aus Versorgungssicht, aber auch markt- oder betriebswirtschaftlich. Vielleicht hätte man ja einen kleinen Betrieb aufrechterhalten können. Die Schliessung in Münsingen ist einschneidend, aber man hat nie das Gespräch gesucht zum Beispiel mit uns Grundversorgern vor Ort.»

Connor Fuhrer ist Hausarzt in Münsingen und Geschäftsleiter von mediX bern. Seit diesem Jahr ist er zudem Vorstandsmitglied beim VBHK.

Warum haben Sie nicht vorher das Gespräch gesucht?

Pulver: «Da muss ich jetzt etwas rebellieren. Schauen Sie, die Politik hat alle regionalen Spitäler als Aktiengesellschaften ausgelagert. Sie verbrennt sich seither nicht mehr die Finger mit Spitalschliessungen. Das ist politisch so gewollt. Ich persönlich finde diese Ökonomisierung der Spitalversorgung nicht gut, und ich würde mich jederzeit dafür einsetzen, das zu ändern. Aber die Politik hat gewollt, dass die Spitäler nach ökonomischen Kriterien und einer betriebswirtschaftlichen Logik funktionieren müssen. Wir hatten die schwierige finanzielle Situation und eine starke Unterdeckung. Letztere sind notabene ebenfalls das Resultat von politischen Entscheiden. Aber das ist ein anderes Thema. Am Schluss hatten wir, ganz in dieser Logik, nicht einen politischen, sondern einen unternehmerischen Entscheid zu fällen, und den haben wir nach bestem Wissen getroffen. Ich will nicht jammern, und es ist etwas zugespitzt, aber letztlich machen wir die Arbeit, die die Politik nicht machen will.»

Das erklärt aber nicht, warum Sie nicht mit den Leuten vor Ort nach Alternativen suchten.

Pulver: «Wenn man eine Spitalschliessung ins Auge fasst, dann muss das schnell gehen, sonst schliesst sich ein Spital innert kürzester Zeit von allein, weil die Mitarbeitenden gehen. Wir haben das beim Zieglerspital erlebt. Wir wussten, je grösser wir den Kreis der Involvierten machen, desto unfairer wird es für unser Personal. Hätten wir mit all den Partner:innen vorher gesprochen, die verständlicherweise enttäuscht waren, dass wir sie nicht vorher einbezogen hatten, so hätten am Schluss um die 150 Leute gewusst, dass wir an einer Schliessung arbeiten, nur unsere Mitarbeitenden nicht. Sowas geht nicht. Wir konnten aber auch nicht kommunizieren, dass wir in dreiviertel Jahren planen, das Spital zu schliessen, vor allem nicht in der heutigen Fachkräftesituation.»

Und warum hat man keine Alternativen geprüft? Oder haben Sie diese verworfen?

Pulver: «Wir haben verschiedene Alternativen geprüft und geschaut, was es für Möglichkeiten gibt, zum Beispiel das Spital Münsingen als akutsomatischen Standort aufrechtzuerhalten. Ob man ein ambulantes Gesundheitszentrum hätte machen können, haben wir nicht geprüft, weil das nicht unsere Geschäftstätigkeit ist.»

Fuhrer: «Aber unsere, oder?»

Pulver: «Ja, das stimmt.»

Fuhrer: «Es war ja kein Geheimnis, dass es um das Spital Münsingen nicht rosig steht. Man hätte mal gemeinsam eine Auslegungsordnung machen und schauen können, was für ein Angebot man sinnvoll betreiben könnte. Der Kanton hätte sogar Möglichkeiten, entsprechende Pilotprojekte mit stationärem Setting zu unterstützen. Das ist das, was wir vermisst haben, dass man mit uns zusammen valable Alternativen prüft für eine einfache, effiziente und letztlich kostengünstige Grundversorgung vor Ort.»

Wenn ihr schon realisiert habt, dass es um den Standort Münsingen nicht gut steht, warum habt ihr nicht selbst das Gespräch mit der Insel gesucht?

Fuhrer: «Wir standen regelmässig im Kontakt mit den Chef- und Belegärzten in Münsingen. Wir waren der Meinung, dass wir am besten helfen, wenn wir eng mit ihnen zusammenarbeiten und den Standort zum Beispiel durch Zuweisungen stärken, wo das Sinn macht. Und ja, wir haben schlicht nicht damit gerechnet, dass es so schnell zu einer Schliessung kommt.»

Pulver: «Wir hatten ja auch nicht schon lange vor, das Spital zu schliessen. Wir haben über Jahre Strategien geprüft, um es weiterzuführen, zum Beispiel mit ausgewählten Fachbereichen und im Sinne eines Stufenkonzepts, so dass «einfache Fälle» in Münsingen hätten bleiben können. Aber in den letzten zwei bis drei Jahren hat der Standort auf 30 Millionen Franken Umsatz um die 7 Millionen Verlust gemacht. Betriebswirtschaftlich war das einfach nicht mehr verantwortbar. Das Einzige, was man vielleicht eine Woche vor der Kommunikation zur Schliessung mit einigen Ärzt:innen vor Ort hätte prüfen können, wäre ein Ambulantes Zentrum. Aber noch einmal: Hierfür waren die Voraussetzungen für die Kommunikation enorm schwierig. Für uns war wichtig, dass wir erst kommunizieren, wenn wir in allen relevanten Belangen sicher sind, dass wir einen Plan haben, insbesondere für das Personal. Das stand für uns absolut im Vordergrund.»

Bernhard Pulver ist Jurist und Verwaltungsratspräsident der Insel Gruppe. Bis 2018 war er für die Grüne Partei Regierungsrat im Kanton Bern.

Der Aufschrei nach der Schliessung war gross. Was ist denn von all dem, was ihr als Hausärzt:innen vor Ort befürchtet hatten, tatsächlich eingetreten?

Fuhrer: «Die Schliessung ist bei jeder zweiten Konsultation ein Thema, weil die Patient:innen verunsichert sind. Da ist es wichtig, mitteilen zu können, dass der hausärztliche Notfalldienst und das Medphone funktionieren wie bisher. Wir haben aber an gewissen Tagen 30 bis 40 Prozent mehr Notfälle in den Praxen als vor der Schliessung. Diese belasten die Kapazität unserer vollen Praxen zusätzlich. Vor allem haben wir deutlich mehr gravierende Fälle und brauchen öfter die Ambulanz, vor allem am Montag. Am Wochenende fahren die Leute nicht nach Bern in den Notfall, obwohl das vielleicht angezeigt wäre, sondern warten, bis sie zu uns kommen können. Einschneidend ist für die Grundversorger:innen vor allem die Situation nachts. Da bestand bis jetzt ein Abkommen mit dem Spital Münsingen. Erfreulicherweise konnten wir mittlerweile eine ähnliche Absprache mit dem Inselspital treffen, der nächtliche Hintergrunddienst wird nun durch den Notfall des Inselspitals geleistet. Dies bedeutet aber für die Patient:innen aus der Region längere Anfahrtswege und Wartezeiten.»

Pulver: «Wir haben parallel dazu nun die Kapazitäten auf dem Notfall im Inselspital ausgebaut. Das Problem mit den Notfällen haben wir schon länger. Immer weniger Menschen haben einen Hausarzt, viele gehen lieber schnell auf den Notfall. Das ist ein gesundheitspolitisches Thema. Die Grundversorgung ist unterfinanziert, in der Hausarztmedizin, in den Spitälern, in der Pädiatrie. Die Grundleistungen sind so finanziert, dass es zwangsläufig zu Versorgungsproblemen kommen wird. Bei Ihnen, bei uns. Für die Notfalldienste wird es aber eine Lösung geben, auch wenn die vielleicht etwas anders aussieht als wie bisher in Münsingen und im Tiefenau.»

Fuhrer: «Was mich auch sehr beschäftigt, ist der Nachwuchs. Die beiden Spitäler waren wichtige Ausbildungsspitäler für künftige Hausärzt:innen. Diese Plätze werden fehlen.»

Pulver: «Ich sehe diesen Punkt. Aber auch hier baden wir aus, Sie und ich, was die Politik einmal entschieden hat. Von ursprünglich 60'000 Franken Abgeltung pro Jahr und Assistenzarzt, den wir ausbilden, ist die Politik runter auf 15'000 Franken. Unsere tatsächlichen Kosten liegen bei etwa 28'000 Franken pro Jahr. Wir legen pro Jahr zwischen 10 und 15 Millionen für die Ärzteausbildung drauf, und das ist ein beträchtlicher Teil unseres Verlusts. Wir sind schon mehrere Male beim Kanton vorstellig geworden, aber wir haben in dieser Sache leider nichts erreichen können. Letztlich leiden wir beide, Haus- und Kinderärzt:innen und die Spitäler, am gleichen Grundproblem: der politische gewollte ökonomische Druck auf uns Leistungserbringer. Ich finde den falsch und möchte den ändern. Ich bin nicht Verwaltungsratspräsident geworden, um rein ökonomisch zu steuern, aber ich würde meinen Job nicht richtig, wenn ich bei der aktuellen Schieflage nicht alles daransetzen würde, die Zahlen zu korrigieren. Auf politischer Ebene ist mein Hauptfokus aber, die kantonalen Entschädigungen für die Ärzteausbildung zu verbessern, die Tarife generell und die Base Rates. Ändert sich hier nichts, laufen wir in noch grössere Probleme.»

Fuhrer: «Das ist so. Auch für uns ist klar, dass wir rasch bessere Rahmenbedingungen brauchen. Auf Tarifebene mit Tardoc zum Beispiel, der den hoffnungslos veralteten Tarmed ablöst, oder auch mit der Einführung von EFAS. Und wir müssen Leistungen unserer Medizinischen Praxisassistent:innen und der Praxiskoordinator:innen endlich für abrechnen dürfen. Alles andere ist einfach nicht mehr zeitgemäss.»

Pulver: «Was mir in diesem Zusammenhang zunehmend zu denken gibt, ist der Spagat zwischen den ökonomischen Anforderungen einerseits, also irgendwie schwarze Zahlen schreiben zu müssen, und andererseits immer wieder zu sehen, dass die Politik uns dabei nicht hilft. Im Gegenteil.»

Aber Hand auf’s Herz: Indem Sie beide, als grosses Spital und als Hausärzte, immer wieder alles tun, um den Spagat trotz schwieriger Rahmenbedingungen irgendwie zu schaffen, legitimieren Sie diesen politischen Druck fortlaufend. Es geht ja, beziehungsweise: Sie machen, dass es geht.

Pulver: «Und wir machen ja nicht einfach nur zwei Standorte zu, wir leisten ja im Hintergrund unheimlich viel, genau gleich wie die Hausärzte, und sind nicht korrekt entschädigt. Was gäbe das für einen Aufstand, wenn wir den Betrieb runterfahren müssten und einfach und ganz ehrlich sagen würden, «tut uns leid, wir finden nicht mehr jedes Jahr 10 Millionen, um Löcher aus untergedeckten Leistungen zu stopfen»».

Fuhrer: «Wo sehen Sie denn die Rolle des Inselspitals in der Grundversorgung?»

Pulver: «Ich höre immer wieder, dass wir Grundversorgung nicht können. Aber 50 Prozent unserer Arbeit im Inselspital ist Grundversorgung. Die 50’000 Notfälle pro Jahr sind ja nicht alles hochkomplexe Spezialfälle. Wir sind ein regionaler Grundversorger, und das machen wir gut. Wir haben rund eine Million ambulante Konsultationen, aber wir hören oft, dass wir als Spital nicht effizient sind in diesem Bereich. Ja, ein Spital ist im ambulanten Bereich weniger effizient als eine Arztpraxis. Und jetzt? Was ist die Alternative? Dass wir die Million ambulanten Konsultationen nicht mehr machen? Wer übernimmt die dann?»

Fuhrer: «Aber die Frage stellt sich ja schon, ob diese Million Konsultationen im Zentrumsspital geleistet werden müssen oder ob man die nicht auch an Standorten wie Münsingen machen könnte, in lokalen Versorgungsstrukturen, in denen die Wege kürzer, die Kommunikation einfacher ist.»

Pulver: «Das verstehe ich gut. Aber auf politischer Ebene wird im Moment alles dominiert durch das Thema Kosten. Dabei haben wir meiner Meinung nach kein Kostenproblem. Das Problem ist die Finanzierung, und zwar wegen den Prämien, die Kopfprämien sind. Aber vor allem auf Bundesebene wird nur über Kosten geredet und laufend kommen neue bürokratische Scheinlösungen, die uns nur noch mehr kosten, wie die Zulassungsbeschränkung mit Höchstzahlen für Ärzte oder die obligatorischen Rechnungskopien.»

Ich bin überzeugt, dass das im Wesentlichen das Ergebnis von drei entscheidenden gesundheitspolitischen Entwicklungen ist. Erstens hat man wichtige gesundheitspolitische Bereiche entpolitisiert, zum Beispiel grosse Teile der Versorgung, etwa über die Verselbständigung von Spitälern. Umgekehrt führte zweitens die Einführung eines Kopfprämiensystems dazu, dass ausgerechnet die zentrale Frage der Finanzierung hochgradig politisiert ist. Jede Kostenentwicklung schlägt sofort auf das Haushaltsbudget jedes einzelnen, und damit lässt sich, etwas zugespitzt formuliert, Politik machen. Und drittens hat man im Gesundheitsbereich ein so komplexes Politiksystem gebaut mit dezentralen und föderalen Strukturen und so vielen Vetopositionen, dass es faktisch nicht möglich ist, eine grosse Reform auf den Schlitten zu bringen.

Pulver: «Das ist eine hervorragende Analyse. Ja, manchmal ist es zum Verzweifeln. Wir müssen wirklich versuchen, politisch etwas am Setting zu ändern. Ich weiss auch noch nicht genau, wie wir das schaffen. Im Verwaltungsrat haben wir schon diskutiert, ob wir die Verluste einfach in Kauf nehmen dürfen. Mein Verständnis von Verantwortung ist schon, dass wir gegensteuern müssen, dass wir Massnahmen treffen, um wieder in schwarze Zahlen zu kommen. Wir kämpfen für kostendeckende Preise, wir wehren uns auch auf dem Rechtsweg gegen Preissenkungen durch die Krankenkassen, aber irgendwann, wenn man auf Tarifseite wirklich nichts erreicht, müssen wir vielleicht tatsächlich sagen, «sorry, jetzt können wir nicht mehr». Ich gehe aber davon aus, dass wir Lösungen finden werden.»

Fuhrer: «Wir in der Grundversorgung versuchen hier die ganze Zeit Gegensteuer zu geben. Auch in der Praxis. Ich bin Geschäftsleiter von mediX Bern, und mit unseren Zahlen können wir schwarz auf weiss zeigen, dass wir mit unseren Kosten unterhalb vom Anstieg der Gesundheitskosten liegen. Das gilt für die gesamte ärztliche ambulante Grundversorgung. Da frage ich mich schon, wieso niemand auf uns zukommt. Wir könnten zeigen, dass es funktionierende Modelle gibt, die nicht teuer und qualitativ sehr hochstehend sind. Die Politik muss einfach anständige Rahmenbedingungen schaffen und gewisse Freiheiten lassen, damit Innovation stattfinden kann. Ziel muss es doch sein, eine koordinierte Versorgung zu schaffen, in der alle, Sie als grosses Spital und wir in den Praxen, schauen, wie wir besser Hand in Hand arbeiten können, damit eine qualitativ gute, effiziente Behandlungskette eine gute und bezahlbare Medizin liefern kann.»