Spital Tiefenau und Münsingen
«Spitalschliessungen retten die Bilanz» - die Frage ist nur, auf wessen Kosten
Die Schliessung der zwei wichtigen Spitalstandorten Tiefenau und Münsingen sorgt für Diskussionen. Bis weit über die direkt betroffenen Gebiete hinaus fragen sich vor allem viele Haus- und Kinderärzt:innen, wie mit noch weniger medizinischer Workforce eine Grundversorgung aufrecht erhalten werden kann.
Drei Tage nach dem Beben in der Bankenszene platzte im März die nächste Bombe: Die Inselgruppe schliesst gleich zwei Spitäler: per Ende Juni 2023 das Spital Münsingen und per Ende 2023 das Spital Tiefenau. Zugegeben, ich bin da nicht ganz neutral. Wie so viele Berner Hausärzt:innen habe auch ich in diesen zwei Spitälern einen Teil meiner Weiterbildung absolviert und kann eine gewisse «emotionale Verbindung» nicht leugnen.
Abgesehen von diesen leicht wehmütigen Erinnerungen möchte ich hier auf ein paar Punkte eingehen, die uns als Grundversorger:innen in den Regionen und als zuweisende Hausärzt:innen bewegen und die ich aus vielen Gesprächen mit Kolleg:innen mitgenommen habe.
Die Mitarbeiter:innen erfuhren die Hiobsbotschaft übrigens aus den Medien oder von Patient:innen, die ihrerseits in der Zeitung darüber lasen. Die Inselgruppe begründete die seltsam anmutende Kommunikationskaskade damit, dass die Börse und die Medien Vorrang gehabt hätten und eine Information am Vorabend bei den Mitarbeiter:innen nur zu «Nervosität und somit zur Gefährdung von Patient:innen beigetragen» hätte.
Was diese Prioritätensetzung bei den Mitarbeiter:innen auszulösen vermochte, ist eigentlich einfach nachzuvollziehen: Frust, mangelnde Wertschätzung, Wut. Ob das gute Voraussetzungen sind, um, Stichwort Fachkräftemangel, bestehende Mitarbeiter:innen halten zu können?
Spitäler schliessen, um Kosten zu sparen
Rein betriebswirtschaftlich betrachtet mögen die Spitalschliessungen vielleicht nachvollziehbar und rational sein. Der Verlust der Inselgruppe in der Höhe von 80 Millionen Franken im Jahr 2022 und die bei ausbleibenden Tarifanpassungen düsteren Prognosen für die nächsten Jahre lassen es nicht zu, das seit Jahren baufällige Tiefenauspital zu sanieren. Das Spital Münsingen wiederum habe sich selber «nicht profilieren» und deshalb nicht rentabel betrieben werden können, so die Inselgruppe.
Von internen Stimmen erfährt man derweil, dass Ideen und Innovationen von Mitarbeiter:innen zur besseren Profilierung des Spitals abgewürgt worden seien. Überprüfen lassen sich derlei Aussagen nur schwer, aber man gewinnt doch insgesamt den Eindruck, man habe die Schliessungen seit längerem kommen sehen und vielleicht auch nicht mal verhindern wollen. Dies auch von Seiten der Gesundheitsdirektion, die wohlwollend und verständnisvoll auf die Spitalschliessungen reagiert hat.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass der Kanton kleinere Spitäler schliessen oder fusionieren will, um vermeintlich Kosten zu sparen. Ob diese Rechnung wirklich aufgeht, kann nun dank anhand der jüngsten Spitalschliessungen untersucht werden. Zu überprüfen sein wird freilich aber auch die Hypothese, dass der Preis der erhofften Kosteneinsparung nicht doch andernorts von anderen teuer bezahlt wird.
Noch mehr Druck aufs Notfallsystem
Was heissen die Spitalschliessungen aber für uns Zuweisende? Zunächst einmal einfach, dass zwei gut funktionierende Ökosysteme der integrierten, stufengerechten Versorgung zerschlagen werden. Vertrauensvolle, persönliche Beziehungen und effiziente Prozesse mit «kurzen Wegen» zwischen Hausärzt:innen und Spitalärzt:innen gehen verloren und müssen (zu anderen Spitälern?) erst wieder aufgebaut werden.
Darunter werden, das ist eine zweite Folge der Schliessungen, vor allem Patient:innen leiden. Und um in der Sprache der Natur zu bleiben: die «(Bio-)Diversität» der Berner Spitallandschaft wird deutlich monotoner. In der Natur wissen wir ja, was passiert, wenn Arten aussterben.
Für Hausärzt:innen in der Umgebung der betroffenen Spitäler lösen die Schliessungen auch grosse Unsicherheiten aus bezüglich der Notfalldienste. Bis jetzt meist gut funktionierende Netzwerke müssen neu organisiert werden. Ob der Hauptstandort der Inselgruppe auch den Nachtdienst übernehmen wird?
Hier müssen gute Lösungen erarbeitet werden, soll die dezentrale Grundversorgung in der Peripherie nicht weiter an Attraktivität verlieren. Man muss indes leider davon ausgehen, dass das Problem der Notfalldienste von der Inselgruppe noch nicht mal angedacht wurde. Wir vom VBHK wurden jedenfalls noch nie um unsere Einschätzung gefragt.
Betroffen sind auch Weiterbildungsstellen für Hausärzt:innen
Ob die von der Inselgruppe kommunizierte Aufstockung der Hauptnotfallstation ausreichen wird, um den Wegfall der Notfallkapazitäten von Tiefenau und Münsingen kompensieren zu können, bezweifeln wir. Aus sämtlichen Spitälern im Kanton Bern lasen wir in den letzten Monaten von überlasteten Notfallstationen. Natürlich ist der Fachkräftemangel hier ein relevanter Faktor, doch fehlte es in vielen Notfallstationen auch an Kojen und Betten, also schlicht an räumlicher Infrastruktur.
Viele Patient:innen mussten gar in Korridoren behandelt werden. Nicht auszudenken, was bei einer nächsten Pandemie passiert oder schon nur mit dem weiteren Bevölkerungswachstum, das alles bei sich zuspitzendem Hausärztemangel und mit einer Gesellschaft, die nicht nur immer älter wird, sondern deren Erkrankungen zunehmend komplexer werden.
Ein weiterer Punkt, welcher der Hausärzteschaft grosse Sorgen bereitet, ist der hausärztliche Nachwuchs. Nicht nur ich, sondern mit, vor und nach mir durchliefen viele der Berner Hausärzt:innen ihre Weiterbildung in den Spitälern Münsingen und / oder Tiefenau, gerade weil dort vom Patientenspektrum und von der Arbeitsweise her eine gute Vorbereitung auf die Praxistätigkeit erfolgen konnte. Werden nun viele dieser Weiterbildungsstellen auf Stufe Assistenz- und Oberärzt:innen verloren gehen?
Kollateralschäden für die gute Bilanz
Insgesamt komme ich also zum Schluss, dass Spitalschliessungen zwar finanz- oder bilanztechnisch rettend sein können, aber doch zahlreiche Kollateralschäden verursachen.
Uns ist bewusst, dass das verkrampfte Festhalten an alten Strukturen nicht zielführend ist. Die Welt, die Medizin, die Gesellschaft ändern sich laufend, was neue Versorgungsmodelle und Anpassungen der Strukturen unbedingt nötig macht. In diesen Anpassungsprozess sind jedoch sämtliche Stakeholder frühzeitig einzubeziehen. Die angesprochene «Diversität» von Standorten könnte auch als Chance angesehen werden anstatt nur als Verlust in den Büchern grosser Spitalkonzerne.
Denn mit Silodenken und -handeln können die grossen Herausforderungen der aktuellen und künftigen Versorgungskrisen nicht erfolgreich gemeistert werden, schon gar nicht kostensparend.