Editorial
«Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne»
Es ist das erste Editorial in ihrer neuen Funktion als Co-Präsidentin des VBHK. Eine Premiere. Aber mit Corinne Sydler wagen auch andere dieser Tage einen Anfang. Regierungsrätinnen und Grossräte zum Beispiel, die in eine neue Legislatur starten. Corinne Sydler über persönliche und politische Herausforderungen der nächsten Jahre.
Ja, jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. So verspricht es der Volksmund. Schon in den ersten Wochen als neu gewählte Co-Präsidentin des VBHK durfte ich dies mehrmals erfahren, als sich mir neue Türen und Blickwinkel eröffneten. Doch mit dem Eintreten in neue Räume und Vertiefen in bekannte Themen schärft sich auch das Bewusstsein über bestehende und sich abzeichnende Herausforderungen und Probleme. Dies dürfte momentan nicht nur mir so gehen, sondern auch all den neu- und wiedergewählten Grossrätinnen und Regierungsräten des Kantons Bern.
Beschäftigen werden uns und die Politik in der kommenden Legislatur die Corona-Pandemie, die medizinische Versorgung der ukrainischen Flüchtlinge, der Notfalldienst oder die Unterversorgung in Psychiatrie und Hausarztmedizin. Wenn wir unsere Patient:innen nicht mehr zeitnah an Psychiater:innen und Psycholog:innen oder geeignete Institutionen zuweisen können, weil das Therapieangebot überlastet ist, so strapaziert das auch unsere haus- und kinderärztlichen Ressourcen ins nicht mehr Bewältigbare.
Wir sehen leider jeden Tag, dass diese Unterversorgung abgesehen vom grossen Leidensdruck der Patient:innen und ihrer Angehörigen zu unnötig vielen chronifizierten und volkswirtschaftlich teuren Verläufen führt. Ob hier ab Sommer 2022 das neue Anordnungsmodell für Psychotherapie die Situation zu entspannen vermag, ist abzuwarten.
Auch das neue Modell zaubert keine fehlenden Psychotherapeut:innen aus dem Hut, vor allem nicht im kinder- und jugendpsychiatrischen Bereich oder in Randregionen! Die Parallelen zum Hausarztmangel sind hier allzu offensichtlich, und leider weiss niemand so gut wie wir, was es heisst, wenn mahnende Worte jahrelang in den Wind geschlagen werden.
Einen gemeinsamen Nenner haben all die erwähnten «Krisen»: Sie offenbaren einen Fachkräftemangel, der sich immer mehr zuspitzt. Gerade Corona wirkte hier bisweilen wie ein Brennglas. Spätestens jetzt sollte das Problem doch für alle sicht- und spürbar sein.
Es ist deshalb zu hoffen, dass die politischen Entscheidungsträger:innen das nicht nur erkennen und wahrnehmen, sondern in der kommenden Legislatur auch handeln. Den Worten müssen verbindliche Taten folgen, und zwar rasch und mit nachhaltigem Effekt.
In der Hausarztmedizin sind gute Anfänge gemacht. Der geplante Ausbau des erfolgreichen Praxisassisenzprogramms ist einerseits eine konkrete Massnahme mit spürbarer, nachhaltiger Wirkung. Andererseits sendet er vor allem auch ein positives Signal, das in der Ärzteschaft und insbesondere bei Medizinstudierenden ankommt: Es geht um Wertschätzung und Anerkennung für einen der schönsten Berufe der Welt. Ich freue mich, hier einen kleinen Beitrag leisten zu können – möglichst weit über den Zauber des Anfangs hinaus.