Stabsübergabe beim VBHK
«Gute ärztliche Grundversorgung für alle, auf dem Land und in der Stadt, ob arm oder reich, das ist mein Antrieb»
Die Generalversammlung des VBHK hat Corinne Sydler am 3. März 2022 zur neuen Co-Präsidentin gewählt. Sie übernimmt den Stab von der langjährigen Co-Präsidentin Monika Reber. Wir haben beide noch einmal gemeinsam getroffen – zu einem Gespräch über den Respekt vor dem Amt, die persönliche Motivation für die Berufspolitik und die Bedeutung von Teamplay.
Wie sagt man beim Abschiednehmen häufig: «mit einem weinenden und einem lachenden Auge…». Ist das bei Ihnen auch so?
Monika Reber: Auf jeden Fall. Die letzten Jahre habe ich mich sehr für den VBHK eingesetzt, das wird mir fehlen. Aber am meisten vermissen werde ich die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen aus dem Vorstand und der Geschäftsstelle sowie den regelmässigen Kontakt mit den Mitgliedern. Als kantonale Organisation ist man sehr nahe an der Basis. Das hat mir immer gefallen. Wir haben zusammen eine intensive Zeit erlebt und vieles aufgebaut und erreicht, das verbindet.
Aber ich weiss auch, dass ich meine Arbeit einer tollen Nachfolgerin übergeben darf. Das hilft beim Loslassen (schmunzelt). Und ich freue mich auch sehr auf meine neue Aufgabe im Vorstand von mfe Schweiz.
Frau Sydler, Sie werden in den kommenden Jahren die Haus- und Kinderarztmedizin im Kanton Bern mitprägen. Aber die Herausforderungen sind beträchtlich: Hausarztmangel, Kostendruck, Notfalldienste, etc. Warum tun Sie sich das an?
Corinne Sydler: Genau wegen diesen Themen, weil ich hier etwas erreichen will! Berufspolitik hat mich immer fasziniert, ich bin bereits seit vielen Jahren in verschiedenen Gremien engagiert. Als Hausärztin bin ich in meiner Region und meinem Kanton verwurzelt und verbunden.
Gesundheitspolitik wird kantonal geprägt. Umso wichtiger ist es, dass wir Haus- und Kinderärzt:innen uns hier aktiv einbringen, dass wir unsere Anliegen langfristig und mit Nachdruck vertreten und uns für eine ärztliche Grundversorgung einsetzen, die in erster Linie für die Patient:innen da ist. Und zwar für alle, auf dem Land und in der Stadt, ob arm oder reich. Das ist wichtig und das ist meine Motivation.
Die Aufgabe ist anspruchsvoll und herausfordernd. Haben Sie Respekt davor?
CS: Sehr sogar. Aber ich bin überzeugt, dass ich mit meiner berufspolitischen Erfahrung und mit meiner verbindenden und kommunikativen Art am richtigen Ort bin. Ich habe auch das grosse Privileg, einen kantonalen Verband übernehmen zu dürfen, der sehr gut aufgestellt ist.
Vorstand, Präsidium und Geschäftsstelle sind eingespielt und arbeiten professionell, und sie haben in den letzten Jahren die Grundlagen geschaffen für eine wirkungsvolle politische Arbeit. Ich darf hier anknüpfen und darauf aufbauen, das erleichtert schon einiges.
MR: Der VBHK hat sich in den letzten Jahren sehr «gemacht», ja. Aber das ist nicht nur mein Verdienst. Es war ein bewusster strategischer Entscheid des damaligen Vorstands, voll auf Professionalisierung zu setzen. Und daran haben viele mitgewirkt. Allein erreichst du nichts.
Apropos: Sie teilen sich das Präsidium ja mit dem bisherigen Co-Präsidenten Stefan Roth.
CS: Dieses Modell hat sich sehr bewährt und ich freue mich auf die Zusammenarbeit. Stefan Roth und ich ergänzen uns sehr gut, das haben wir in den vergangenen Wochen auch schon reichlich getestet. Ich profitiere von seiner langjährigen Erfahrung. Zudem ist ein Co-Präsidium für beide eine wichtige Entlastung.
Wir alle haben Phasen in unseren Praxen, die wenig zusätzliche Aktivitäten erlauben, so können wir die Arbeitslast auf mehrere Schultern verteilen. Zudem finde ich es wichtig und eine Bereicherung, dass ein Kinderarzt und eine Hausärztin im Präsidium vertreten sind, also beide Fachrichtungen der Grundversorgung.
Wo wollen Sie Ihre Schwerpunkte setzen in den nächsten Jahren?
CS: Wichtige Baustellen sind nach wie vor die Nachwuchsförderung und die Notfallorganisation, vor allem in ländlichen Gebieten. Wir müssen uns dessen bewusst sein, auch wenn die Studierendenzahlen Anlass zu leiser Hoffnung geben: Die Talsohle ist beim Hausarztmangel noch nicht erreicht. Bis die Jungen in der Praxis sind, dauert es noch eine Weile.
Das Nachfolgeproblem ist das, was vor allem unsere älteren Mitglieder am stärksten beschäftigt. Da ich selbst Hausärztin in einer Praxis im ländlich geprägten Berner Oberland bin und die Themen aus persönlicher Erfahrung bestens kenne, werde ich mich hier sicher intensiv engagieren.
Die Notfallorganisation muss flexibler gestaltet und die Rahmenbedingungen auf dem Land müssen grundsätzlich optimiert werden. Nur so können wir junge Hausärztinnen und Kinderärzte motivieren, diese bereichernden, aber eben auch sehr anspruchsvollen Notfalldienste zu übernehmen. Ich bin mit Leib und Seele Hausärztin, diese Begeisterung möchte ich weitergeben und dafür sorgen, dass auch das «Drumherum» künftig besser stimmt.
Die Berufspolitik lässt Sie nicht los. Wie geht es bei Ihnen weiter?
MR: Ich bin bereits seit einem halben Jahr Vorstandsmitglied bei mfe Schweiz. Die Arbeit macht mir auch hier grosse Freude, von der kantonalen Politik jetzt auf die nationale Ebene zu wechseln, das ist eine spannende Herausforderung.
Und irgendwie auch ein logischer und konsequenter nächster Schritt: Ich habe die JHaS mitgegründet und mit anderen zusammen aufgebaut, dann auf kantonaler Ebene beim VBHK eine Rolle übernommen und diesen weiterentwickelt, und jetzt engagiere ich mich national. Der rote Faden ist und bleibt dabei der Nachwuchs, auch bei mfe Schweiz habe ich das Kernthema «Nachwuchsförderung» übernommen.
Und dem VBHK bleiben Sie verbunden?
MR: Unbedingt. Den Menschen sowieso und der «Sache» genauso. Schliesslich bin ich nach wie vor Hausärztin im Kanton Bern, also weiterhin betroffen davon und sehr interessiert daran, was im Kanton läuft.
Hausärztin zu sein ist anspruchsvoll genug – woher nimmt man die Motivation und die Ressourcen, sich noch darüber hinaus zu engagieren?
MR: Unsere Ressourcen sind begrenzt, das ist so, wir müssen sie deshalb sorgfältig einsetzen. Wichtig ist bei einem solchen Engagement, dass das Umfeld stimmt und das politische Engagement unterstützt. Sowohl in der Praxis als auch in der Familie und vor allem im Team, also im Vorstand.
Die Zusammenarbeit muss Freude machen, motivieren und bereichern, dann schafft man gemeinsam auch die grossen Herausforderungen – und die Rückschläge, die gehören auch dazu.
CS: Ich habe das grosse Privileg, jeden Tag in meinem Traumberuf arbeiten zu dürfen – das weiss ich zu schätzen. Ich bin mit Leidenschaft Hausärztin und möchte, dass wir auch in Zukunft eine starke medizinische Grundversorgung für alle Patient:innen sicherstellen können.
Das ist der persönliche Antrieb, mich berufspolitisch zu engagieren. Eine gute Hausarztmedizin kann in einem Gesundheitssystem den entscheidenden Unterschied machen. Das wissen wir aus vielen Studien und aus dem Ausland, und das motiviert mich.
Sie kennen einander schon lange. Frau Sydler, was nehmen Sie von Ihrer Vorgängerin mit ins neue Amt?
CS: Ich bin ich. Wenn ich versuchen würde, Monika zu kopieren, weil sie in der Tat Grosses geleistet hat, wäre damit niemandem gedient. Aber natürlich versuche ich, mir ein Stück von ihrem Kämpferinnenherz, von ihrer Beharrlichkeit abzuschneiden. Auch von ihrem Pragmatismus und dem Blick für das Machbare. Und: Monika hat eine bewundernswerte Frustrationstoleranz.
MR: Ja, das ist sicher so. Alle, die politisch aktiv sind, wissen, dass es harte Bretter sind, die wir bohren. Umso schöner ist es, wenn man kleine Erfolge zusammen feiern darf.
Monika Reber, wenn sie Ihrer Nachfolgerin umgekehrt drei Wünsche auf den Weg mitgeben dürfen, welche wären das?
MR: Corinne hat die gar nicht nötig. Das Letzte, was man ja als «Neue» von der «Alten» hören will, ist, was man zu tun hat. Ich wünsche ihr einfach, dass sie so viel Freude hat an diesem Job wie ich, dass sie sich nicht unterkriegen lässt, wenn mal ein rauer Wind weht, und dass sie wie ich auf kritische, aber gute und loyale Menschen zählen darf, denen sie vertrauen kann und die am gleichen Strick in die gleiche Richtung ziehen.