Carte Blanche
Offener Brief an Chat-GP(T)
Bruno Kissling hat sich auf ein längeres Gespräch mit Chat-GPT eingelassen, über unser Gesundheitswesen und unser ärztliches Tun – und seine Gedanken in einem offenen Brief an ihn zusammengetragen.
Lieber Chat-GPT
Ich wende mich mit einem Problem an dich. Im Kontext unseres Gesundheitswesens beobachte ich, dass sich die Dinge im Kreis drehen. Siehst du einen Ausweg aus diesem Strudel?
Seit Jahrzehnten befassen sich Ärzteschaft, Versicherer, Patientenvereinigungen, Politik, Medien, Industrie und zahllose weitere Interessengruppen immer mit denselben Themen: hohe Kosten, ungenügende Qualität, zu wenig Ärzte und Ärztinnen respektive falsche Verteilung, Mangel an Pflegenden, administrative Überlastung, E-Health, ungenügende Vereinbarung von Beruf und Familie, veränderte Demographie mit endlosen Bedürfnissen und hohen Ansprüchen, Innovationen mit oft fraglichem Zusatznutzen.
Unterschiedlichste Massnahmen verdampfen meistens schon während des Diskurses wie ein Wassertropfen auf einem heissen Stein, oder wirken sich anders aus, als erwartet.
Dabei befinden sich die Medizin und unser Gesundheitswesen auf einem noch nie dagewesenen hohen Niveau. Auf der Dosis-Wirkungs-Kurve weit rechts im flachen Bereich, oft im Bereich des Grenznutzens, wo weiterer Aufwand keinen Nutzen mehr bringt, ja sich vielleicht gar gegenteilig auswirkt. Unsere Fachgesellschaften und Berufsverbände sowie alle weiteren Interessengruppen ringen mit aufwändiger Beharrlichkeit darum, möglichst ihre Lösung durchzusetzen, gegen die Widerstände der andern.
Natürlich vergeblich. Vieles wurde und wird darüber geschrieben. Als Leser befällt mich ein gähnendes «déjà lu».
Auf meine Fragen, ob auch du findest, dass das Schweizer Gesundheitswesen tatsächlich Probleme habe, weshalb sich die Diskussionen um Lösungen im Kreis drehen und welche Lösungsansätze du siehst, listest auch du alle wichtigen Elemente auf. Aber leider keine neuen Erkenntnisse.
Wie ich eine ärztliche Konsultation wirksam gestalten kann, wie ich mein Tun und Befinden reflektieren und gut zu mir selber schauen kann und wie ich gegebenenfalls mein ärztliches Tun verändern, meine Freude am Beruf erhalten kann? Alles Wichtige nennst du in deinen Antworten. Doch Entschuldigung, auch das alles schon gelesen und gehört.
Schön, wie du die wissenschaftliche Signifikanz einer medizinischen Methode und ihre Relevanz für den individuellen Patienten zusammenfasst und den individuellen Kontext des Patienten betonst. Umfassend, was du über die Komplexität im Rahmen von Gesund- und Kranksein sagst. Du weisst wirklich gut Bescheid. Aber ehrlich gesagt, ich hatte etwas mehr von dir erwartet. Lösungen.
Doch das liegt nicht an dir. Sondern an mir. Du bist ehrlich und versprichst nicht mehr, als dass du zusammensuchen kannst, was bis September 2021 geschrieben wurde. Leider zitierst du nicht, woher du die Informationen hast.
Deine Antworten bestätigen mir: Alle nötigen Elemente sind zusammengetragen. Mit ihnen können wir ein Gesundheitswesen gestalten, in dem die Patientin im Zentrum steht und mit dem wir zufrieden sein können. Zusammenraufen müssen wir uns aber selber.
Deine Arbeit, lieber Chat-GPT, ist letztlich ähnlich wie meine hausärztliche Arbeit. Auch als GP berate ich meine Patientinnen mit meinem besten medizinischen Wissen. Die Patientinnen müssen es aber letztlich selber umsetzen.
Doch, anders als du, kann ich mögliche therapeutische Lösungsansätze in der Konsultation, in direkter Begegnung mit meinen Patienten, gemeinsam gestalten. Dabei kann ich sie mit einer tragfähigen Arzt-Patientinnen-Beziehung und gegenseitigem Vertrauen unterstützen.
Bruno Kissling, Hausarzt im Ruhestand