Interview
«Das Wichtigste ist ein gutes Team»
Stefan Roth, Kinderarzt und seit 2017 zunächst Vize- und später Co-Präsident des VBHK, verlässt die kantonale Standespolitik. Er plant, sein Engagement auf nationaler Ebene fortzusetzen – und schaut noch einmal zurück auf seinen Einsatz für eine gute ärztliche Grundversorgung im Kanton Bern.
Angenommen, du hättest dich die letzten Jahre nicht intensiv standespolitisch engagiert, was hättest du mit all der freien Zeit angefangen?
Gute Frage! Da wäre zuerst mal die Frage, wieviel Zeit das wäre? Wahrscheinlich recht viel. Da hätte es sicher Zeit für ein paar gute Essen mit der Familie und Freunden gegeben. Daneben noch etwas regelmässigere sportliche Betätigung und die eine oder andere bessere Leistung auf dem Bike oder dem Rennrad. Ein paar «schmerzhafte Niederlage» gegen Kolleg:innen hätte es dann wohl nicht gegeben.
Du bist eine Art standespolitischer «Hans Dampf in allen Gassen». Welche Begegnung hat dich am meisten beeindruckt während deiner VBHK-Zeit?
Es ist schwierig, hier eine Begegnung herauszunehmen, es sind viele. Grundsätzlich ist es eindrücklich zu sehen, wie viele Menschen sich in unserem Land, trotz allen Schwierigkeiten und Aufwänden, engagieren und mit viel Enthusiasmus für ihre Werte einstehen. Gerade, wenn sich diese nicht mit den eigenen decken, entstehen dabei viele spannende Diskussionen.
Schlussendlich ist es aber wohl meine erste standespolitische Begegnung: Nach dem Sprung in das ungewisse Projekt «Praxispädiatrie» liess mich mein Praxispartner Rolf Temperli auch gleich noch in das nächste kalte Wasser springen. Als damaliger Präsident von Kinderärzte Schweiz war sein Motto: «Wenn Du mit mir in der Praxis arbeitest, dann gehört Standespolitik dazu.» Irgendwie blieb da etwas hängen.
Worauf bist du besonders stolz, wenn du auf die standespolitischen Jahre beim VBHK zurückblickst?
Das ist zwar sicher nicht «mein» Verdienst, aber auch ich konnte etwas dazu beitragen: Der VBHK hat sich in den letzten Jahren zu einem Vorbild für viele kantonale Organisationen der Grundversorgung gemausert. Wir leben das haus- und kinderärztliche Miteinander auf Augenhöhe, was für beide Seiten sehr befruchtend ist. Ausserdem haben wir einen Punkt erreicht, an welchem wir auch ausserhalb der Ärzteschaft wahrgenommen und gefragt werden.
Persönlich ist es wohl die Pandemiezeit, während der wir gesundheitspolitische Entscheide zum Wohle der Kinder mit beeinflussen konnte. In der Schweiz konnten die Kinder die Schule mehrheitlich kindsgerecht besuchen, auch andere Massnahmen und insbesondere Test-, Therapie- und Impfempfehlungen konnten wir primär auf wissenschaftlicher und weniger auf politischer Basis umsetzen. Wir haben unseren Kindern und Jugendlichen im internationalen Vergleich hier vieles erspart. Schockierend war aber auch zu erfahren, mit wie wenig Anstand teilweise mit unseren Exponent:innen umgesprungen wurde.
Der VBHK ist politisch sehr aktiv. Was sind denn aus deiner Sicht die wichtigsten Zutaten für erfolgreiche politische Arbeit auf kantonaler Ebene?
Das wichtigste ist ein gutes Team aus Kolleg:innen, welche gerne miteinander arbeiten und sich gegenseitig unterstützen. Gerade mit meinen beiden Co-Präsident:innen Monika Reber und Corinne Sydler habe ich eine Zusammenarbeit erlebt, welche eine sehr grosse Vertrauensbasis und manchmal fast blindes Verständnis mit sich brachte.
In beiden Konstellationen waren wichtige Auszeiten möglich, ohne dass das gegen aussen überhaupt bemerkt wurde. Nicht zuletzt möchte ich aber auch unsere Geschäftsstelle erwähnen, welche viel Arbeit im Hintergrund erledigt, von welcher wir dann oft die Früchte ernten können.
Du planst, dein standespolitisches Engagement auf nationaler Ebene fortzusetzen. Was nimmst du aus deiner Zeit beim VBHK dafür mit?
Grundsätzlich die Freude an der Arbeit mit anderen spannenden Personen, aber auch eine gewisse Einsicht, dass nicht alles geht, wie erhofft. Ein gutes Motto ist immer: Gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, welche ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden. Ich glaube, das braucht es, um standespolitisch engagiert und aktiv zu bleiben, ohne in Frustration zu versinken.
Morgen kommt die Fee: Deine drei Wünsche?
Erstens das Verständnis aller Kolleg:innen, dass sich jede:r einsetzen kann! Sei es auch nur als Mitglied in unseren Verbänden. Gerade die zunehmende Masse an Kolleg:innen, welche sich nicht einmal soweit engagieren, ist manchmal entmutigend. Zweitens genügend Zeit, unsere Arbeit so zu erledigen, dass die Patient:innen ganzheitlich betreut werden können. Die Umsetzung grosser standespolitischer Meilensteine, die die Politik seit Jahren vor sich herschiebt, wie die Tarifrevision oder die Realisierung von «ambulant vor stationär». Und drittens viele junge und engagierte Kolleg:innen, die Freude haben an ihrem Beruf. Da die Fee wohl weder morgen noch in nächster Zeit kommt, wissen wir zumindest, woran wir arbeiten müssen.