Editorial
Der Nachwuchs kommt, doch der Mangel wächst
Der Mangel an Hausärztinnen und Kinderärzten im Kanton Bern ist seit Jahren ein Thema. Wie überall in der Schweiz. Ländliche Regionen spüren ihn schon lange, die Berufsverbände warnen seit Jahren vor den Risiken und Kostenfolgen fehlender Hausärztinnen und Kinderärzte. Und jetzt zeigt die neue Berner Workforce-Studie: Noch immer gibt es viel zu tun.
Liebe Leserin
Lieber Leser
Für den Kanton Bern liegt mit der neuen Workforce-Studie jetzt eine sehr genaue Bestandesaufnahme der haus- und kinderärztlichen Versorgungsituation vor. Sie beziffert die regional unterschiedliche Versorgungsdichte und skizziert Zukunftsaussichten. Dass der Kanton Bern die von der OECD empfohlene haus- und kinderärztliche Versorgungsdichte von einer Ärztin auf 1000 Einwohner nicht erreicht, wissen wir schon länger. Die Workforce-Studie macht nun aber konkret und präzise sichtbar, welche Regionen spürbaren Hausärztemangel haben und wo dieser sich wegen anstehender Pensionierungen und der Bevölkerungsentwicklung in wenigen Jahren verschärfen wird. Bereits bekannte Fakten und Trends (z.B. aus den Berner Daten der 3. und 4. Nationalen Workforce-Studie von 2015 bzw. 2020) werden durch die jüngste Studie eindrücklich bestätigt, und erhärtet hat sich auch, dass der Handlungsbedarf weiterhin gross bleibt: 40 bis 50 % der Studierenden müssten sich für die Grundversorgung entscheiden, allein damit es gelingt, den Status quo haus- und kinderärztlicher Versorgung aufrecht zu erhalten. Im Kanton Bern hiesse das konkret: 70 bis 80 neue Hausärztinnen und Kinderärzte jedes Jahr. Denn, auch das lässt sich aus den Daten der Berner Workforce-Studie ablesen: 13 bis 15 % der Haus- und Kinderärzte im Kanton Bern sind bereits über 65 Jahre alt.
Immerhin: Der Nachwuchs ist im Anflug. Lag das Durchschnittsalter in der ärztlichen Grundversorgung 2015 noch bei 57 Jahren, sank dieses auf aktuell 52 Jahre. Zudem sehen wir, dass ein eigentlicher Strukturwandel im Gang ist. So wird die Einzelpraxis, auch wenn sie gerade in den ländlichen Regionen des Kantons ihre volle Berechtigung hat, zunehmend zum Auslaufmodell. Waren 2005 noch weit über die Hälfte der Hausärzte in einer Einzelpraxis tätig, sind es heute nur noch gut ein Viertel. Ursächlich dafür sind nicht zuletzt veränderte Bedürfnisse der Jungen, die sich auch in der ärztlichen Grundversorgung manifestieren. So achten Hausärzte und Kinderärztinnen heute viel mehr als früher auf ihre «Work-Life-Balance» und arbeiten sowohl Männer wie Frauen im Schnitt weniger. Die Lücke, die ein Hausarzt von altem Schrot und Korn hinterlässt, wenn er in Pension geht, von einem also, der 7/24 für seinen Patientinnen da war, lässt sich nicht einfach eins zu eins durch eine Nachfolgerin füllen.
Was die Studie darüber hinaus auch zeigt? Die Hausärzte und Kinderärztinnen wären sehr wohl gewillt, zur Erhebung und Pflege von wirklich soliden Versorgungsdaten beizutragen, denn: 95 % betrug der Rücklauf der vorliegenden Workforce-Studie. Noch nie gab es für den Kanton Bern aussagekräftigere Daten zum Hausärztemangel. Die Daten des Medizinalberuferegisters MedReg, auch das führten die Arbeiten an der Workforce-Studie zutage, sind weder vollständig noch aktuell und die Aussagekraft der Daten der FMH beschränkt bzgl. Versorgungsdichte und Workforce in der Grundversorgung.
Der VBHK setzt sich mit den Ergebnissen der Workforce-Studie natürlich intensiv auseinander. Er ist schon lange gemeinsam mit seinen Partnern und Mitgliedern in der Nachwuchsförderung aktiv, in der Praxis, in der Aus- und Weiterbildung, bei der Suche nach regionalen Lösungen und vor allem auch politisch. Die Hausärzteschaft leistet hier grosse Arbeit, eine, für die wir alle dankbar sein können. Denn: Haus- und kinderärztliche Grundversorgung bietet hohe Qualität, ist für alle da und trägt ganz entscheidend, auch das ist hinlänglich bekannt und erwiesen, dazu bei, dass unser Gesundheitssystem bezahlbar bleibt. Ohne sorgsame wie nachhaltige Unterstützung seitens von Behörden und Politik wird es aber nicht gelingen, folgenschwere haus- und kinderärztliche Versorgungsengpässe zu vermeiden. Dafür braucht es schon den guten Willen aller.